SÜDWEST PRESSE
27. März 1998

Kulturspiegel

Der Stuttgarter "Fidelio"' wird am Sonntag
live aus der Staatsoper in Südwest 3 übertragen

Die Partitur bis ins Detail für das Fernsehen sezieren

Mit sieben Kameras rückt der SDR die heiß diskutierte Regietat von Martin Kusej dem heimischen Zuschauer nah.

Zum ersten Mal bringt Südwest 3 am kommenden Sonntag um 20.15 Uhr eine aktuelle Opern-Produktion der Stuttgarter Staatsoper live auf den Bildschirm: Beethovens "Fidelio" in der
außergewöhnlichen, bei der Premiere vor knapp zwei Wochen lautstark und heftig umkämpften Psycho-Version von Martin Kusej.

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(...) Als TV-Regisseur hat der SDR für die Live-Übertragung János Darvas aus Köln geholt. "Ich war glücklich, als ich das Konzept zum ersten Mal sah!" Er müsse sich natürlich der Musik und der Inszenierung unterordnen, sagt Darvas. Große Ambitionen oder gar eine eigene Interpretation seien da nicht drin: "Ich erfinde nichts, ich übersetze nur das Geschehen auf der Bühne mit der Grammatik der Fernseh-Sprache." Die stellt aber dann doch ganz spezifische Forderungen. So mußte beispielsweise für die ursprünglich nicht "bebilderte" Ouvertüre zusammen mit Kusej eine optische Umsetzung gefunden werden: "Da kann ich nicht 15 Minuten lang einen kleinen schwarzen Orchestergraben zeigen."

Sieben Kameras stehen Darvas für seine TV-gerechte Umsetzung des "Fidelio" zur Verfügung. Drei "sitzen" im Halbkreis auf Kopfhöhe in der zweiten Reihe, drei weitere stehen ganz hinten im Parkett, die siebte sondiert den Orchestergraben. Dabei hat Kamera 6, "unser Sicherheits-Netz", während der ganzen Übertragung die Bühnen-Totale im Blickwinkel, für den Fall, daß mal etwas nicht so läuft wie vorgesehen. Da alle Kameras digital arbeiten, gibt es selbst bei Szenen mit ganz wenig Licht auf der Bühne keine Probleme.

Das TV-Konzept steht bereits seit Wochen. Darvas und sein Assistent haben die Partitur, einen Video-Mitschnitt von der Generalprobe vor Augen, bis ins letzte Detail seziert und mit 700 dicken roten, auf die Sekunde genau abgestimmten Kamera-Schnitt-Strichen versehen. Dazu kommen gut 500 weitere "freie" Schnitte in den großen Szenen, alle mit genau beschriebenen Bildinhalten und Ausschnittsgrößen. Jeder Kameramann hat bei der Übertragung das 60seitige Skript vor sich und ist über einen "Knopf im Ohr" mit der Regie im Übertragungswagen verbunden, die ihm kurzfristig Änderungen übermitteln kann.

János Darvas will auf die von Elisabeth Schwarzkopf in einem Interview mit unserer Zeitung gerügte "Zahnarzt-Einstellung" verzichten: "Wie nahe wir rangehen, das ist natürlich eine Stil- und Geschmacksfrage", findet er. Daß die Aufführung nicht als vorab aufgezeichnete Konserve übertragen wird, das finden alle Beteiligten optimal. Darvas glaubt, daß die Aktivität des gesamten Teams dadurch einen ganz besonderen Kick bekommt: "ein Kreativitäts-Plus durch einen zusätzlichen Adrenalin-Stoß."

Hanns Horst Bauer
Stuttgart


STUTTGARTER ZEITUNG
28. März 1998

Funk und Fernsehen

Kameras, Kabel und Buhrufe vom Band

Viel Aufwand für die Live Fernsehübertragung
des "Fidelio" morgen aus der Stuttgarter Staatsoper

Die Statisten reißen die Münder auf. Dabei können sie doch gar nicht singen. Kein Orchester, kein Dirigent. Dann verklingt die Musik plötzlich, alles verharrt. Irgendwo wird kräftig buh geschrieen, "Aufhören" brüllt da einer, "Maul halten" ein anderer. Stellprobe in der Staatsoper. Sämtliche Statisten des Staatstheaters wurden mobilisiert. Sie imitieren den Opernchor, Don Fernando, Florestan und Leonore. Im Kostüm, versteht sich. Nur die Musik kommt vom Band, der Mitschnitt einer Vorstellung der Neuinszenierung von Beethovens "Fidelio" mitsamt den Mißfallensäußerungen des Publikums, das zwischendrin kräftig geschimpft und gebuht hat.

Südwest 3 wird morgen abend um 20.15 Uhr live den "Fidelio" aus dem Großen Haus übertragen. Was für ein Aufwand! Seit mehreren Tagen laufen bereits die Vorbereitungen. Quer durchs Staatstheater ziehen sich die dicken Kabel, damit die vielen Kameras im Zuschauerraum versorgt werden können. Überall laufen Menschen mit Kopfhörern herum, die wichtige Anweisungen in ein Mikrofon sprechen.

Der Regisseur Janos Darvas hat anhand der "Fidelio" Partitur eine genaue Schnittliste erarbeitet, jede Kamera hat ihren Plan, wann sie zum Einsatz kommt. Er wolle "keine Kunst" machen, sagt Darvas, sondern die "aufregende, gute Inszenierung" von Martin Kusej dokumentieren. "Es geht nicht um eine Handschrift, sondern um die Einheit." Um das zu erreichen, muß der große Stab perfekt organisiert werden. Mehrere Stellproben und eine Generalprobe in Kostüm und Maske wurden angesetzt, am Donnerstag blieb das Große Haus sogar wegen der Vorbereitungen ganz geschlossen. Einmal muß das Stück im Original durchlaufen, damit wirklich jede Einstellung, jeder Schnitt stimmt. Die Kosten muß der Sender tragen.

(...) Am Abend wird die Generalprobe mit Orchester und Sängern stattfinden. Nur wenn ein Sänger wirklich "indisponiert" ist, wie das hier heißt, darf er bei der Generalprobe "markieren", muß also nicht richtig aussingen. Der Hörfunk schneidet am Sonntag ebenfalls mit. Um der Nachwelt eine perfekte Aufnahme hinterlassen zu können, ist es,besser, noch einen zweiten Mitschnitt von der Generalprobe zu haben. Und da die Sänger auf der Bühne "ungeheuer viel herumlaufen", wie Darvas sagt, ist es ohnehin eine Kunst, eine saubere Aufnahme hinzubekommen.

So viele Proben. Doch Darvas, der zu den wenigen Regisseuren für klassische Musik gehört, hält den Zeitplan für knapp bemessen. Er hat auch andere Zeiten erlebt. "Die Produktionsbedingungen sind sehr eng geworden", sagt er. Wenn alles gut läuft, kann er sich am Sonntag abend im Ü-Wagen bequem zurücklehnen. Wehe aber, es gibt Überraschungen, dann muß er in Sekundenschnelle Kommandos an all die Beteiligten geben, die kreuz und quer im Haus verstreut sind und zu denen er nur Funkkontakt hat. Aber Darvas ist viel zu sehr Routinier, als daß ihn so schnell noch etwas aus der Ruhe bringen könnte. Er nimmt es von der sportlichen Seite: "Inzwischen ist so eine Arbeit wie eine Fußballübertragung."

Und da gibt es nur eine Devise: Spontan reagieren.

Adrienne Braun


[ János Darvas  H o m e  P a g e ]     [ Beethoven: Fidelio Live ]