tachles Das jüdische Wochenmagazin
7. März 2008 - 8. Jahrgang - Ausgabe 10


Die Glanzzeit von Operette und Musikfilm

Der ungarisch-jüdische Komponist Paul Abraham (1892–1960) schrieb um 1930 erfolgreiche Operetten und Tonfilm-Evergreens. Die Naziherrschaft ab 1933 beendete seine Karriere abrupt und liess ihn über Jahre in Vergessenheit geraten.

Von Katja Behling

Ende April 1956 startete in New York ein Charterflugzeug mit mehr als 50 Kranken an Bord und landete auf dem Frankfurter Flughafen. Der Maschine entstieg erschöpft ein älterer Herr: Paul Abraham, der Komponist von Operetten wie «Viktoria und ihr Husar», «Blume von Hawaii» und «Ball im Savoy». Abraham betrat an diesem Tag nach 23 Jahren erstmals wieder deutschen Boden. Doch seine Reise war noch nicht zu Ende. Zwei Ärzte brachten ihn vom Flughafen direkt in die Klinik – in die Psychiatrie des Hamburger Universitätskrankenhauses. Zwischen dieser Rückkehr und der Vorkriegszeit, die Paul Abraham auf dem Höhepunkt seiner Karriere innerhalb kurzer Zeit zu einem weltberühmten und reichen Mann gemacht hatte, lagen 25 Jahre. Und mehr als eine historische Epoche.

Vom Walzer zum Jazz

Paul Abraham wurde 1892 im südungarischen Apatin, damals Teil des österreichisch-ungarischen Reiches der Habsburg-Monarchie, geboren. Er studierte an der Musikakademie in Budapest und begann mit der Komposition klassischer Musik. 1927 ging er ans Budapester Operettentheater. Einem ersten Erfolg mit Musik für «Zenebona» folgte «Der Gatte des Fräuleins» – und der Umzug nach Berlin, das um 1930 Wien als Hochburg der Operette abgelöst hatte. Während die Kompositionen vieler seiner Kollegen musikalisch noch der «Goldenen Ära» der Operette und dem Walzer verbunden waren, spiegelten Abrahams Stücke den Zeitgeist nach dem Ersten Weltkrieg wider. Im amerikanischen Jazz artikulierte sich das neue Lebensgefühl. Abraham liess sich davon inspirieren, auf ganz eigene Weise integrierte er den Jazz in die Operette. «Es gibt in der Operettengeschichte keinen anderen Komponisten, der einen solchen Klang, eine solche Wirkung wie Abraham entfaltete», sagt der Musikwissenschaftler Kevin Clarke. Die besten Librettisten, darunter Fritz Löhner-Beda, Alfred Grünwald und Robert Gilbert, standen Abraham zur Seite. Diese – jüdischen – Texter, die teils für Komponisten wie Franz Lehár und Emmerich Kálmán gearbeitet hatten, trugen zu Abrahams beispielloser Karriere bei.

Ab 1929 gelang Abraham der internationale Durchbruch – sowohl beim jungen Tonfilm als auch im Operettenfach. Der in Ungarn gedrehte UFA-Film «Melodie des Herzens» enthielt auch den ersten grossen Schlager von Paul Abraham. 1930 feierte Abraham mit seiner Operette «Viktoria und ihr Husar» einen Sensationserfolg. Über Nacht berühmt und durch Tantiemen für ausverkaufte Häuser und Schallplattenverkäufe vermögend geworden, kaufte er sich eine Villa in Berlin und war bald für die rauschenden Feste, die er dort mit Freunden und Kollegen fast täglich feierte, stadtbekannt. Abraham avancierte in den frühen dreissiger Jahren auf Bühne und Leinwand zu den beliebtesten und bestverdienenden Komponisten. Seine Operette «Die Blume von Hawaii» trat ab 1931 einen Siegeszug als Weltereignis an. «Ball im Savoy», uraufgeführt im Dezember 1932, wurde bei der Premiere vom Publikum ebenso umjubelt. Wie ihre Vorgänger, wurde auch diese Operette bald nach der Bühnenpremiere mit Starbesetzung verfilmt. Es war der politische Umbruch wenige Wochen später, der dem Erfolg von «Ball im Savoy» eine Grenze setzte: Was eben noch Millionen begeisterte, galt nun als nicht mehr opportun. Was eben noch Jazz war, hiess bei den Nazis «Niggermusik». Und verschwand bald von den Spielplänen.

Aus Nazideutschland vertrieben

Anfang 1933 flüchtete Abraham nach Ungarn. Vor seiner Flucht vertraute er seinem Butler den Schlüssel zu einem Safe an, in dem sich die Manuskripte von über 200 unveröffentlichten Melodien von Abraham befunden haben sollen. Statt sie aufzubewahren, soll der Butler die Abraham-Noten nach und nach an «arische» Komponisten verkauft haben. Abraham brachte nach 1933 in Österreich und Ungarn weitere Operetten heraus. Deren Erfolg indes konnte sich mit dem vor der Emigration nicht messen. Nach dem «Anschluss» Österreichs floh er über Paris nach Kuba. Seine nicht jüdische Frau war in Budapest geblieben – erst viele Jahre später sahen sie sich wieder. Abrahams letzte Exilstation war New York. Dort, wo George Gershwin und Cole Porter die Musikszene geprägt hatten, konnte er als Komponist nicht mehr Fuss fassen. Abgeschnitten von den gewohnten Einkünften, ohne Zugriff auf den Grossteil der Tantiemen, lebte Abraham, unterstützt von seinem Verleger, in einem Hotel. Zermürbende Erfolglosigkeit und der sich rasch verschlechternde Gesundheitszustand des Emigranten mündeten in einen Zusammenbruch. Nachdem er auf der Madison Avenue, mitten im tosenden Autoverkehr, ein imaginäres Orchester dirigiert und beim Friseur erzählt hatte, er habe am Abend eine grosse Premiere, riefen Freunde im Januar 1946 ärztliche Hilfe. Die Diagnose der Ärzte war schnell gestellt: Syphilis im Spätstadium. Die Geschlechtskrankheit hatte bei Abraham bereits irreparable Schäden am Gehirn hervorgerufen, die die psychischen Störungen erklärten. Er kam in eine psychiatrische Klinik.

Rückkehr nach Deutschland

Zehn Jahre lebte Abraham im New Yorker Creedmoor Hospital. Sein Besuchervisum war längst abgelaufen, er lebte ohne rechtliche Basis in New York. Finanziert wurde sein Klinikaufenthalt durch die nun wieder besser fliessenden Tantiemen. Als man nach Jahren, in denen er in Europa völlig in Vergessenheit geraten war, durch einen Artikel im «aufbau» in Deutschland von seinem Schicksal erfuhr, wurde in Hamburg ein «Abraham-Komitee» gegründet. Diese vom Hamburger Schriftsteller Anatol Persich initiierte Gruppe bemühte sich darum, den Komponisten, dessen Werke im Nachkriegsdeutschland wieder viel gespielt wurden, nach Deutschland zurückzuholen. Nach intensiven Verhandlungen auch auf diplomatischer Ebene startete Paul Abraham Ende April 1956 Richtung Deutschland. Nachdem er in die Nervenheilanstalt des Hamburger Universitätskrankenhauses eingeliefert worden war, übernahm Chefarzt Hans Bürger-Prinz seine Behandlung. Er galt als Koryphäe seines Fachs, seine Verbrechen während der NS-Zeit wurden erst Jahrzehnte später in vollem Umfang aufgedeckt. «Bürger-Prinz war eine ausserordentlich problematische Persönlichkeit», sagt der Hamburger Medizinhistoriker Heinz-Peter Schmiedebach. Während der Zeit des Nationalsozialismus ohne übliches Berufungsverfahren auf seinen Posten gesetzt, war der renommierte Psychiater während des Krieges an Euthanasie-Projekten insofern beteiligt, als er Patienten kategorisierte – und wissen musste, was mit denen geschah, die er als hoffnungslose Fälle eingestuft und verlegt hatte. Auch zeigte Bürger-Prinz bei den von ihm begutachteten Kriegsneurotikern gegenüber mitunter wenig Gnade. Wenn er Symptome wie Zittern bei einem Soldaten für simuliert hielt, testierte er das – eine solche Beurteilung aber konnte den Betreffenden vor das Kriegsgericht bringen, das möglicherweise die Todesstrafe verhängte. Viele Soldaten nahmen sich angesichts dessen selbst das Leben. Dass ausgerechnet ein Arzt mit brauner Vergangenheit den prominenten jüdischen Patienten betreuen sollte – was auch als Zeichen des Neubeginns in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit verstanden werden konnte –, bewog ein empörtes Mitglied zum Austritt aus dem Abraham-Komitee. Abraham war noch Patient, als er in Hamburg wieder mit seiner Frau Charlotte zusammentraf. Sie hatte 1956 aus Ungarn ausreisen dürfen. Während seiner letzten Jahre lebte das Ehepaar zurückgezogen in einer Hamburger Wohnung. Abraham starb im Mai 1960, 30 Jahre nach seinen Triumphen, in Hamburg. Berlin, die Stadt seiner grössten Erfolge, hat er nie wieder gesehen.

«Bin nur ein Jonny. Der Operettenkomponist Paul Abraham». Ein Film von János Darvas.
Sendetermin: 31. März, 23.15 Uhr, Arte.

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